Alle schreiben über das Coronavirus: Über die Wirkung auf den Körper, die Symptome, Epidemie, Pandemie, Gegenmaßnahmen. Nun nehme ich dieses derzeit prominente Virus aus der psychologischen Perspektive unter die Lupe, denn irgendwo haben sich inzwischen die meisten mit dem Virus angesteckt – wohlgemerkt emotional angesteckt.
Die emotionale Ansteckung
Die Übertragung von Stimmungen und Emotionen unter
Personen in einer Gruppe, beschreibt das Phänomen der emotionalen Ansteckung. Sowohl positive als auch negative Emotionen, wie Angst, Sorge, Machtlosigkeit, können innerhalb einer Gruppe übertragen werden. Und da die seriösen Medien, die Vertreter der Politik und die Gesundheitsexperten von einer drohenden Epidemie und möglichen Katastrophe sprechen, macht sich die Sorge in der Bevölkerung breit. Zeigen sich Experten besorgt und sprechen von einer Krise, wird sich der „normale“ Bürger ebenso besorgt zeigen.
Mediale Präsenz und Salienz
Das Virus ist aktuell der Stressor und das in den Medien prominente Thema. Kaum eine Zeitschrift, Medienbericht, Nachrichten lässt das Thema aus. Letztendlich erfüllen die Medien nur die Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren. Auch ich musste erst meine Einstellung zum Virus „justieren“: Das Virus aus der Ferne steht ja plötzlich in Rheinland vor der Tür. Nun: Kann ich was tun? Was rate ich als pharmazeutisch-technische-Mama den jungen Menschen dort, die tagein tagaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Uni oder von einem Meeting zum anderen hin und her pendeln? Die scheinbar einfache Idee: Eine kleine Flasche Sterillium zu kaufen, erwies sich nicht als die beste Beratung. Es wurde mir also klar, dass ich rational über das Virus nachdenken sollte.
Das Coronavirus verursacht Stress
Wenn man einem Stressor nicht aus dem Weg gehen kann oder aber die Situation nicht ändern kann, sollte man versuchen einfach die Situation anzunehmen. Annehmen heißt nicht ignorieren, herunterspielen oder verdrängen, denn die Pathogenität des Viruses ist ja nach wie vor gegeben. Aber ganz ehrlich: Kennen wir die Zahl der aktuellen Infektionen mit dem pathogenen Rotavirus, der für eine akute Magen-Darm-Grippe zuständig ist? Auch die saisonale Grippe steht derzeit nicht in den Medien, obwohl dieses Virus jedes Jahr eine andere Gestalt hat und für viele Todesfälle und schwere Verläufe der Erkrankung sorgt. Dennoch scheint es so, als ob viele Menschen die rudimentären Hygieneregeln erst jetzt zu beherrschen versuchen: Das richtige Händewaschen wird jetzt ganz intensiv und nach einer Anleitung erlernt.
Das Coronavirus schlägt (endlich) die Business-Etikette
„Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden bis zu 80 Prozent der Infektionskrankheiten mit den Händen übertragen“ – und dieses Risiko sollte nun minimiert werden. „WHO-The Evidence For Clean Hands.„
Zugegebenermaßen musste ich erst in Deutschland lernen, Menschen zur Begrüßung die Hand zu geben. Vor Jahren war das Händeschütteln in Polen zur Begrüßung noch sehr unüblich, vor allem unter Frauen. Jetzt findet es auch in Polen langsam den Einzug, es ist aber immer noch nicht so verbreitet wie in Deutschland. Die „No-Hands-Initiative“ aufgrund der Coronagefahr finde ich also schon mal sehr heimisch. Schön, dass es jetzt ankommt, dass man auf Händeschütteln verzichten kann, ohne unhöflich sein zu müssen. „Wie ansteckend ist Händeschütteln.„
„Was man verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht“*
Menschen neigen dazu Risiken, die sie nicht kennen zu überschätzen und diejenigen, die sie kennen zu unterschätzen.** Ein prominentes Beispiel: Die Anzahl der Menschen, die in einem Verkehrsunfall ums Leben kommen, ist weitaus höher als die Anzahl der Menschen, die Opfer von Flugzeugabstürzen werden. Dennoch: Flugangst ist stärker verbreitet, als Autofahrangst.
Ähnlich verhält sich mit dem eingeschätzten Risiko, dass das Coronavirus mit sich bringt. Das Virus ist neu und die Gefahr, die von ihm ausgeht, wird als sehr hoch eingeschätzt. Dabei gibt es zahlreiche andere Viren, die sich nach wie vor ausbreiten (HIV, Humane-Papillomviren) und deren Pathogenität unterschätzt wird. Auch wenn eine Heilung in dem Sinne in bestimmten Fällen gar nicht möglich ist (z.B. HIV) und auch wenn Komplikationen oder die die Folgen zum Teil sehr schwerwiegend sind (Masern, HPV, Rotaviren), werden die effektivsten Präventionen (Impfungen, Safer Sex) abgelehnt oder ignoriert.
„fight-or-flight response“
Panik und Hamsterkäufe sind Reaktionen, die nicht unbedingt rational sind: „Alles einkaufen und sich isolieren, bis die Gefahr vorüber ist“. Im Stressmanagement wird dieses als die sogenannte Fluchtreaktion gewertet. Sie gilt als nicht adaptiv und somit nicht förderlich. Beim Menschen kann ein „Adrenalinstoß“ in Gefahrsituationen zwar sehr hilfreich sein, jedoch kommt es im Zusammenhang mit dem Kampf-oder-Flucht-Syndrom häufig auch zu Kurzschlussreaktionen und unvernünftigen Affekthandlungen. Dennoch sollten wir die Panikkäufe den Menschen nicht verübeln, denn schließlich tun sie nur das wozu ihnen das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe rät.
Aber denken wir kurz nach…
Weder große Mengen Sterillium noch eine FFP3-Maske können vor der Ansteckung schützen, wenn man die Ansteckungswege nicht kennt und den Umgang mit diesen Hilfsmitteln nicht beherrscht. Niemals können wir alle Übertragungswege ausschalten: Keiner von uns desinfiziert sich dauernd das Handy, den Schlüsselbund, das Geld, die Brötchentüte. Jeder fasst sich zwischendurch ins Gesicht, greift sich in die Haare, steckt die Hände in die Hosentaschen oder keiner desinfiziert die Tastatur des PCs ständig. Kaum einer darf es sich außerdem erlauben, wochenlang nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen und will komplett auf den Umgang mit Menschen verzichten.
Und nur so „by the way“…
Meine Empfehlung für junge Mamas: Lassen Sie Ihr Baby nicht auf dem Fußboden in der Apotheke krabbeln, nicht mit Ihrem Schlüsselbund, Portemonnaie etc. spielen, nicht am Griff des Einkaufswagens lutschen oder sonst alles in den Mund nehmen! Das Immunsystem wird nicht auf diese Weise trainiert, sondern Ihr Kleines kann krank werden! Das wollte ich schon immer gesagt haben…
Was ist zu tun?
Sich an die empfohlene Regel zu halten, ist das Wichtigste, was wir aktuell tun können und sollen. Mehr müssen wir nicht. Mehr haben wir auch nicht in der Hand. Hier: Tipps von DAZ.online. Die Panik gleicht dem wilden und fast egoistischem Aktionismus. Wir dürfen nämlich diejenigen nicht vergessen, die die Desinfektion und Schutzmaßnahmen dringend benötigen, weil sie kranke Menschen pflegen und nicht nur einer potenziellen Gefahr, sondern einer bereits gegebenen Gefahr ausgesetzt sind! „DAZ.online: Hamsterkäufe gefährden den Klinikbetrieb.„
Und: Solange die Wasserversorgung gewährleistet ist, sind wir immer noch im Notfall gut versorgt. Denn der Körper hält im Stress eine Weile ohne Nahrung aus.
1. März 2020

*Marie Curie, polnische Chemikerin und Physikerin
**Gerd Gigerenzer (2014). „Das Einmaleins der Skepsis: Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken.“