Germany’s Next Top Whoever?

„Eine Bewerbung ohne Foto? Unmöglich! Man braucht ein Foto! Andernfalls wird es schwierig!“ Menschen werden von visuellen Eindrücken beeinflusst: Psychologen sprechen vom „Attraktivitätseffekt“ – einer Urteilsverzerrung. Schöne Kinder bekommen in der Schule bessere Schulnoten, attraktive Menschen bekommen mehr Gehalt, bessere Jobs, in Notlagen schneller Unterstützung und finden schneller einen Partner. Attraktiv wird mit gut gleichgesetzt. Der Effekt ist evolutionär bedingt, doch auf ihn scheint heutzutage die von Instagram und Social Media geprägte Menschheit schneller denn je reinzufallen. 

Die Maskerade

Nun werden alle geplant verhüllt: Die Maskenpflicht in Deutschland. Ein seltsamer visueller Eindruck. Plötzlich gleichen sich alle mehr oder weniger „wie ein Ei“ dem anderen.  Nicht das Gesicht wird jetzt individuell, sondern die Maske? Kein einfacher Trend, eine Pflicht…

Nun, was jetzt? Mit „Germany’s Next“? Mit dem Attraktivitätseffekt? Darf /muss ein Bewerber im Bewerbungsgespräch in der Apotheke in der Maske auftreten? Soll die Maske nun ab, während des Gesprächs? Ausnahmeregel oder zählen doch nun die inneren Werte?

Nun „weil Corona“ wird alles anders: Entsteht ein neues Verständnis von Attraktivität? Wird die Maske etwas über den Träger aussagen? Werden „Küchenpsychologen“ neue Kategorien der Menschen erfinden: Einfarbige Masken-Träger, „Von der Stange Masken“-Träger oder „Haute Couture Masken“- Träger…. 

Ein alter Fakt: Fehlt in der Bewerbung das Bild, werden für den Bewerber die Chancen schlechter 

Was in Amerika seit langem als normal gilt, hat sich bei uns in Deutschland noch nicht so wirklich etabliert: Eine Bewerbung ohne ein Bewerbungsfoto. Personen, die hierzulande ein Foto der Bewerbung beifügen, werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt behandelt und werden eher zum Gespräch eingeladen, als Personen ohne ein Bild. Man vermutet der Bewerber hätte etwas zu verbergen und somit werden seine Chancen schlechter, wenn das Bild der Bewerbung nicht beigefügt wird. Arbeitspsychologen wissen aber, dass ein Bewerbungsfoto zu verzerrten Urteilen führt. In der Praxis findet deshalb die Beurteilung des Kandidaten durch Personaler häufig ohne vorher das Bild des Bewerbers gesehen zu haben statt, denn man ist sich des verzerrten Urteils bewusst. 

Arbeitgeber dürfen keine Bewerbungsfotos explizit anfordern

Dennoch geben fast 42% der Unternehmen an, dass das Fehlen eines Fotos bei der Bewertung der Bewerbung berücksichtigt werden würde. Mehr als 50% der im Rahmen einer Umfrage befragten Unternehmen gaben an, dass die Qualität des Bewerbungsfotos, aber auch die Kleidung und der Gesichtsausdruck, den der Bewerber auf dem Foto zeigt in die Bewertung der Unterlagen einfließe.* Je schlechter die Bewertung, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass der Kandidat zum Gespräch eingeladen wird.

Man sieht „mit dem Herzen“ gut

Wer blinde Menschen im Freundes -oder Familienkreis hat, weiß es sehr zu schätzen, dass bei ihnen nicht unsere äußere Erscheinung, sondern unsere inneren Werte zählen. Blinde lassen sich nicht von visuellen Eindrücken täuschen, wenn sie die Attraktivität eines Menschen beurteilen. Es gibt inzwischen Hilfsmittel für Blinde, die Bilder beschreiben, diese werden aber nicht dazu genutzt, um die „Güte“ eines Menschen, sein Können oder sein Potenzial zu bewerten.

Auf dem Social-Media-Catwalk: „Kein Foto, kein Weiterkommen!“

Wenn man im Internet „Beauty“ verkaufen will, ist es sicherlich glaubwürdiger und verkaufsförderlicher, wenn man sich dort selbst entsprechend attraktiv und gepflegt präsentiert. Aber wo liegt der Sinn der Bilder von uns, die einen – möglichst attraktiven – Körper, in Farbe, in verschiedenen Settings, mit lächelndem Gesicht präsentieren, wenn wir unser Fachwissen verkaufen wollen? Was ist, wenn wir diese Attribute der Welt nicht anbieten können oder wollen? Stellt sich die Qualität unserer Professionalität in Frage? 

Professionelle Personalauswahl in der Apotheke: Kaffeeflecken und Rechtschreibfehler in der Bewerbung sind kein K.O.-Kriterum

Darüber worauf es Bewerbungsgespräch ankommt, worauf man bei den Bewerbungsunterlagen achten soll und wie man Bewerber professionell „arbeitspsychologisch“ durchschauen kann, ist eine Beitragsreihe im „AWA-Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker“ erschienen.

Bei Interesse schreiben Sie eine kurze E-Mail an mich: Tatiana.Dikta@gmail.com 

oder kontaktieren Sie die AWA-Redaktion:

https://www.dav-awa.de/servicenavi/kontakt.html

Weiterführend:

Agata Groyecka, Katarzyna Pisanski et al. (2017). Attractiveness Is Multimodal: Beauty Is Also in the Nose and Ear of the Beholder. Frontiers in Psychology, 2017. Published online May 18 2017.

*Kanning, U.P. (2016). Über die Sichtung von Bewerbungsunterlagen in der Praxis der Personalauswahl.  Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie (2016), 60 (1), 18–32.

Bildquelle: Pixabay