Perfektionsanspruch und ständige Erreichbarkeit belasten

Das Handy ist das moderne „Fenster zur Welt“: Informationszentrale, Kommunkationsplattform, Kalender, Notizblock und Album in einem. Erreichbar zu sein, ist in der heutigen Welt kein Problem: Wir sind nur einen Schritt von unserem Smartphone entfernt. Doch die über WhatsApp, Instagram & Co. eingehenden Kurznachrichten unterbrechen dauernd den Gedankenfluss, werfen aus dem Flow und lenken ab von „hier und jetzt“. Das Smartphone wird weniger zum Phone, mehr zum Reader. Erreichbarkeit setzt bisweilen unter Druck und erzeugt Stress. Digital Detox ist deshalb inzwischen zum Trend, zu einer modernen Entziehungskur geworden: Der radikale Verzicht auf digitale Medien. Doch zwischen „ständig“ erreichbar und „gar nicht“ erreichbar liegt der Königsweg: „erreichbar zu meinen Zeiten“. Denn eine gesunde Handynutzung ist genauso gut und einfach zu erlernen wie die gesunde Ernährung. Nur so bleibt der Effekt einer „Handy-Diät“ nachhaltig, damit uns unser Stresskostüm immer passt und uns der Kragen niemals platzt.

Mein nachfolgender Beitrag „TK-Stressstudie 2016: Perfektionsanspruch und ständige Erreichbarkeit belasten“ ist in der Zeitschrift Deutsche Apotheker Zeitung Ausgabe 51/2016, S.89 erschienen.

Stress bedeutet nicht „viel zu tun zu haben“

Stress ist ein Konstrukt und das Stresserleben sehr individuell. Einige von uns halten mehr ab, andere fühlen sich wiederum schnell und dauernd überfordert. In Abhängigkeit von unserer Erfahrung reagieren wir auf ein Ereignis mehr oder weniger gelassen oder besorgt. 

Stress ist nicht per se schlecht. Gestresst zu sein ist zu einem gewissen Statussymbol geworden: Personen, die angeben, im Stress zu sein, sind beschäftigt, fühlen sich unentbehrlich und gebraucht. Dennoch wird ein Dauerstress negativ assoziiert und als belastend empfunden. Stress entsteht aus Überschätzung der eigenen Kräfte und Ressourcen. Man nimmt mehr Aufgaben an, als man bewältigen kann. Vielen fehlt es an der Selbstkenntnis, an der Vertrautheit mit den eigenen Grenzen und Möglichkeiten.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Im Vergleich zur vorhergehenden Studie aus dem Jahr 2013 hat das Stressempfinden bei Männern leicht zugenommen: 58 Prozent geben inzwischen, an unter Stress zu leiden.

Der Anteil der gestressten Frauen ist dagegen auf dem gleichen Level von 63 Prozent geblieben. Männer fühlen sich insbesondere durch die ständige Erreichbarkeit unter Druck und nennen ihren Beruf als den häufigsten Stressauslöser. Frauen sehen als Stressor überdurchschnittlich häufig den eigenen hohen Anspruch, alles im Job und zu Hause perfekt im Griff zu haben. Darüber hinaus nennen Frauen häufiger als Männer Probleme und Konflikte mit Nahestehenden als Stressfaktor. Trotz der hohen Stressbelastung bewerten jedoch Frauen, laut dieser Studie, ihre Gesundheit tendenziell besser als Männer.

Altersunterschiede

Die meisten Stresszustände kennen die 30 bis 39-Jährigen: Hier geben 82 Prozent an, unter Stress zu sein. Ab dem 40. Lebensjahr sinkt der zuvor hohe Stresspegel: Zwei von drei Befragten in dieser Altersgruppe fühlen sich gestresst. Die letzten Jahre des Erwerbslebens (ab dem 60. Lebensjahr) scheinen noch gelassener zu sein: In dieser Altersgruppe berichtet nur jeder Zehnte von häufigem Stress.

Soziales Engagement als Entspannung

39 Prozent der befragten Frauen sehen ein Ehrenamt oder soziales Engagement als Entspannungsstrategie; und diese Aktivität wird mit dem Alter zunehmend beliebter. Auf Platz zwei der beliebten Entspannungsstrategien steht das Faulenzen; es ist bei Frauen genauso beliebt wie bei Männern. Dagegen bilden Shopping und Computerspiele die Schlusslichter in der Rankingskala.

Mehr Stress bei Vollzeit als bei Teilzeit

Stress wird von Vollzeitbeschäftigten häufiger empfunden als bei den Teilzeitbeschäftigten. Hohes Arbeitspensum, Termindruck, Unterbrechungen und Störungen bei der Arbeit, mangelnde Anerkennung werden häufig als Stressfaktoren bei der Arbeit genannt.

Teilzeitarbeitende füllen neben ihrer Berufstätigkeit häufig noch andere Rollen aus, sie kümmern sich um Haushalt, Kinder oder Angehörige. Trotz des engeren Zeitrahmens, der ihnen zur Verfügung steht, um alle Aufgaben zu erledigen, geben „nur“ 46 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Arbeitsüberlastung an. Im Gegensatz dazu klagen 69 Prozent der Vollzeitbeschäftigten über zu viel Arbeit. Auch bei Stressoren wie mangelnder Anerkennung, Termindruck oder Unterbrechungen zeigt sich ein ähnliches Bild: Teilzeitbeschäftigte geben an, weniger gestresst zu sein, als Vollzeitbeschäftigte. Die Anzahl der am Arbeitsplatz verbrachten Stunden erhöht demnach den Stresslevel.

Kinder helfen beim „Abschalten“

Häufig kreisen die Gedanken auch in der Freizeit oder im Urlaub um die Arbeit und den damit verbundenen Stress. Statt die regenerative Wirkung der Pausen zu nutzen, laufen im Körper die mentalen Stressprozesse weiter. Etwa 38 Prozent der Befragten können abends oder am Wochenende nicht richtig abschalten. Dabei kommen Personen, die mit Kindern im Haushalt leben, an ihren freien Tagen besser auf andere Gedanken als Kinderlose. Kinder könnten in dieser Hinsicht als Gesundheitsressource betrachtet werden, so die Autoren der Studie.

Stress und Krankheit

Stress ist häufig ein Co-Faktor bei der Entstehung diverser Erkrankungen. Hektik und Zeitmangel begünstigt ungesunde Verhaltensweisen wie schlechte Ernährung, Bewegungsmangel, Rauchen oder Medikamenteneinnahme. Muskelverspannungen und Rückenschmerzen nennen 66 Prozent der Gestressten als häufigste Beschwerde. Auch Erschöpfung, Schlafstörungen und Nervosität werden bei Personen, die oft Stress empfinden, häufiger genannt als bei Personen, die sich nicht gestresst fühlen.

Stressprävention und Stressmanagement

Die Verbesserung der Rahmenbedingungen bei der Arbeit sehen die Autoren der Studie als einen wichtigen Aspekt. Der zweite Punkt ist jedoch die Eigenverantwortung: Informationen zum Thema Stress und das Erlernen von Entspannungsstrategien gehören zu den von Krankenkassen unterstützten Stresspräventionsprogrammen, die in der Regel allen gesetzlich Versicherten offen stehen.

Quelle:

TK-Studie 2016, Entspann dich Deutschland. TK-Stressstudie 2016